Hades gefesselt, zerborstene Türen im Flammenmeer und grauenerregende Höllenfratzen: Die variantenreiche Darstellung des Abstiegs Christi in die Unterwelt
Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird auch der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein. (Mt 12,40)
Mit diesen Worten kündigt Jesus nach dem Evangelisten Matthäus zum dritten Mal seine Auferstehung an. Aber wo war Christi Seele nach seiner Kreuzigung und in der Zeit bis zur österlichen Auferstehung? Das fragten sich christliche Gelehrte und Gläubige bereits in spätantiker Zeit. Dem sogenannten Nikodemus-Evangelium nach stieg der Geist Jesu in der Nacht nach seinem Kreuzestod in die Unterwelt hinab, überwand deren christliche bzw. mythologische Herren Satan und Hades und errettete dort die Seelen der Gerechten – Vorväter, Patriarchen, Propheten, Märtyrer und Märtyrerinnen –, angefangen mit Adam und Eva.
Im frühen Mittelalter verbreitete sich der Glaube an diese Höllenfahrt Christi bzw. den Abstieg Christi in die Unterwelt (lat. Descensus Christi ad inferos) sowohl in der Ost- als auch in der Westkirche, was mit dem Bedürfnis einherging, die Taten des Gottessohnes auch visuell zu erfassen und bildlich darzustellen. Es prägten sich mehrere eindrucksvolle ikonografische Lösungen aus, die bis ins 16. Jh. künstlerisch variabel verarbeitet wurden und allesamt von schauderhaften Höllenwesen und grausigen Vorstellungen der Unterwelt geprägt sind.
Während Satan und Hades so miteinander sprachen, ertönte wie Donner eine gewaltige Stimme: Öffnet, ihr Herrscher, eure Tore, gehet auf ewige Pforten! Einziehen wird der König der Herrlichkeit. (EvNik 5,1)
Die lückenfüllende Legende von der Höllenfahrt Christi beruht primär auf dem apokryphen Evangelium nach Nikodemus. Apokryphen sind religiöse Schriften, die nicht in den Bibelkanon aufgenommen wurden. Nikodemus wird im Johannesevangelium als Pharisäer beschrieben, der vor den Autoritäten für Jesus eintritt und auch der Grablegung beiwohnt. Er war dementsprechend ein Zeitzeuge Jesu und soll der ursprüngliche Verfasser dieses apokryphen Evangeliums gewesen sein, das die äußerst vagen Andeutungen in der Bibel hinsichtlich des Verbleibs von Christi Seele zwischen Kreuzigung und Auferstehung ergänzt. So heißt es im ersten Petrusbrief 3,18-19 lediglich:
„Denn auch Christus ist der Sünden wegen ein einziges Mal gestorben, ein Gerechter für Ungerechte, damit er euch zu Gott hinführe, nachdem er dem Fleisch nach zwar getötet, aber dem Geist nach lebendig gemacht wurde. In ihm ist er auch zu den Geistern gegangen, die im Gefängnis waren, und hat ihnen gepredigt.“
Gekreuzte Türen und Hades in Fesseln: Die Höllenfahrt-Ikonografie in der byzantinischen Kunst
Seit dem Frühmittelalter hat Christi Abstieg in die Unterwelt eine besondere heilsgeschichtliche Bedeutung. In der byzantinischen Ostkirche wurde das Auferstehungsgeschehen mit der Höllenfahrt und mit der Errettung der Gerechten in Verbindung gebracht. Ergebnis war die Anastasis-Ikone, die bis heute ein zentrales Bildmotiv der orthodoxen Kunst ist.
Sie ist das Oster- und Auferstehungsbild schlechthin, zeugt sie doch im doppelten Sinne vom Erlösungswerk Christi, der nicht nur den eigenen Tod überwindet, sondern auch die Menschheit von diesem erlöst – das erste Mal während seiner Höllenfahrt. Diese grundlegende Bildlösung entstand vermutlich im syrisch-palästinensischen Raum und verbreitete sich von dort aus im gesamten Byzantinischen Reich.
Die Höllenfahrt-Ikonografie zeichnet sich in der mittelalterlichen byzantinischen Kunst vor allem dadurch aus, dass der sich zu seinen Voreltern Adam und Eva herabbeugende Christus auf dem besiegten Hades steht, der meist gefesselt am Boden liegt. Christus erscheint dabei oft in einer großen Aureole und hält als Attribut einen Kreuzstab als Zeichen seines Triumphs. In der Regel werden zu seinen Füßen außerdem die zerborstenen Höllentüren dargestellt, die oft gekreuzt angeordnet sind wie etwa in der Miniatur der Marien-Homilien. Christus greift zunächst Adams Hand, worauf Eva und die anderen Heiligen folgen, die er allesamt aus der düsteren und nur vage angedeuteten Unterwelt bzw. aus Sarkophagen befreit.
Und zugleich mit diesem Bescheid wurden die ehernen Tore zerschlagen und die eisernen Querbalken zerbrochen und die gefesselten Toten alle von ihren Banden gelöst. (EvNik 5,3)
Einige byzantinische Darstellungen präsentieren das Bildthema auch ohne Hades, so etwa im Oxforder Menologion. Dieses zeigt Jesus stattdessen auf den zertrümmerten und gekreuzten Höllenpforten stehend, die in dieser Variante farblich oft besonders hervorgehoben werden – hier in leuchtendem Gold.
Die Höllenfahrt-Ikonografie im Westen: Christus entreißt Adam den Höllenflammen
In der westeuropäischen christlichen Kunst etabliert sich schon früh die Assoziation der Hölle mit Hitze, Feuer und Flammen. So verwundert es nicht, dass in den meisten westlichen Darstellungen der Höllenfahrt Christi lodernde Flammen aus der Unterwelt züngeln.
Eine ikonografische Variation zeigt die Hölle gar als reines Flammenmeer, aus dem Christus die Seelen der Gerechten errettet. Sowohl im Festtagsevangeliar mit Kanontafeln von der Reichenau als auch dem Echternacher Evangelistar Kaiser Heinrichs III. sind dabei mehrere teuflische Wesen gefesselt am unteren Bildrand dargestellt, während Christus Adam die erlösende Hand reicht.
Erlösung aus dem Höllenschlund
Im Hochmittelalter kommt eine besonders faszinierende und einprägsame Variation der Höllenfahrt-Ikonografie auf, die bis ins 16. Jahrhundert äußerst beliebt bleiben sollte: der Eingang zur Unterwelt erscheint hier als aufgerissene zoomorphe Fratze mit messerscharfen, langen Zähnen, die vermutlich an einen Löwenrachen erinnern soll. Meist marschieren die erlösten Heiligen aus dem Höllenschlund oder werden von Christus aus ihm herausgezogen. Die Darstellung wird in der Regel von teuflischen Wesen und dem bezwungenen Satan selbst begleitet.
Zudem wird manchmal durch Andeutungen von Architekturen die Funktion des Tierrachens als Höllentor betont, so etwa in der Bibel Ludwigs des Heiligen sowie den Très Belles Heures de Nôtre-Dame du Duc de Berry. In anderen Bildern wie den ganzseitigen Miniaturen im Liber Precum und dem Albani-Psalter liegen die zerborstenen Türen vor dem Höllenschlund und zu Füßen Christi als Symbol seines machtvollen Sieges über Satan und Hades. Hier wird dieser Umstand zudem dadurch bekräftigt, dass Satans schmerzverzerrter und gekrümmter Körper von einer der Türen niedergedrückt wird.
Da packte der König der Herrlichkeit den Obersatrapen Satan am Kopfe und übergab ihn den Engeln mit den Worten: Mit Eisenketten fesselt ihm Hände und Füße, Hals und Mund! (EvNik 6,2)
Die Miniatur in der Goldenen Bilderbibel – Biblia Pauperum ist darüber hinaus ein wunderbares Beispiel für die typologische – also das Neue durch das Alte Testament legitimierende – Auslegung der Höllenfahrt Christi. Die Errettung aus dem Höllenschlund ist hier auf ein Mindestmaß an Figuren beschränkt, um die Szene in dieser Armenbibel nicht unnötig komplex zu gestalten. Dem Bild sind zwei alttestamentliche Szenen beiseitegestellt, die als Vorausdeutungen des Geschehens verstanden wurden: links Davids Sieg über Goliath und rechts Samsons Kampf mit dem Löwen. Diese waren typisch für die Höllenfahrt-Typologie der spätmittelalterlichen Armenbibeln. In anderen Kontexten wurden Christi Abstieg in die Unterwelt jedoch auch vielfältige andere alttestamentliche Szenen gegenübergestellt.
Der Eingang zur Unterwelt in Trümmern
Etwa zur selben Zeit wie die Höllenschlund-Variante etabliert sich im westlichen Europa außerdem die Tradition, das Höllentor als Festung darzustellen. Künstler und Künstlerinnen erdachten dramatische Szenen, in denen Christus die Gerechten aus burgähnlichen Architekturen befreit, die entweder einzustürzen scheinen oder deren Türen aus den Angeln gehoben und zerborsten sind.
In spätmittelalterlichen Darstellungen wie Simon Benings Stein-Quadriptychon oder der Miniatur im Gebetbuch des Zisterzienserordens etwa klammern sich Satan oder Hades an die Überreste der Höllenpforten, was die teuflischen Geschöpfe umso hilfloser gegenüber dem strahlenden Christus erscheinen lässt.
Der bildliche Abstieg ins Erdreich
Oft befindet sich der Eingang zur Hölle aber auch im Erdreich, was angesichts der Vorstellung einer Unterwelt in Abgrenzung zum Himmel äußerst nachvollziehbar erscheint. Dabei konnte die Höllenpforte beispielsweise eine Bodenöffnung sein, aus der Christus Adam herausziehen muss wie etwa in der historisierten Initiale des Fitzwilliam-Stundenbuchs.
Eine andere Variante zeigt das Stundenbuch der Isabel la Catolica in gleich zwei ganzseitigen Miniaturen: hier befindet sich der Eingang in einem Hügel, aus dem Adam, Eva und ihr heiliges Gefolge einfach herausspazieren können, nachdem Christus Satan und Hades besiegt und gefesselt hat. Die apokryphe Erzählung auf mehrere Bilder aufzuteilen war eine gängige Strategie, um sowohl Christi Kampf mit den Wächtern der Hölle als auch die Errettung der Gerechten gleichermaßen in Szene zu setzen.
Während Hades so mit Satan sprach, streckte der König der Herrlichkeit seine rechte Hand aus, ergriff den Urvater Adam und richtete ihn auf. (EvNik 8,1)
Bildmotive auf einzigartige Weise verknüpft: Die Höllenfahrt in den Exultet-Rollen
Besonders faszinierend sind schließlich die Darstellungen der Höllenfahrt Christi in den süditalienischen Exultet-Rollen, die westliche und östliche Bildmotive auf einzigartige Weise miteinander verknüpfen. Exultet-Rollen sind Schriftrollen, die in der lateinischen Liturgie während der Ostermesse verwendet werden und den feierlichen Lobgesang Exultet enthalten, der in der Regel außerordentlich prachtvoll illuminiert ist. Als Teil des Ostergeschehens zeigen sie meist auch den Abstieg Jesu in die Unterwelt.
Während etwa die Flammen der hier präsentierten Miniaturen der westeuropäischen Bildtradition entspringen, sind die Darstellung des besiegten Hades am Boden in der Barberini Exultet Rolle sowie die Errettung Adams und Evas aus einem minimalistischen Sarkophag in der Salerno Exultet-Rolle deutlich byzantinischen Ursprungs. In der Exultet Rolle Casanatense und der Barberini Exultet Rolle fallen zudem die wirklich in alle Einzelteile zersprengten Türen ins Auge und unterstreichen die zerstörerische Kraft Christi, die sich jedoch nur gegen die Mächte der Unterwelt richtet.
Somit bringen die prächtigen Exultet-Rollen in der Ostermesse die verschiedenen, fantasievollen Bildmotive zusammen und sind ein wunderbares Zeugnis der großartigen künstlerischen Varianz der Höllenfahrt-Ikonografie, die sich bis in die frühe Neuzeit weiterentwickelte und eine Vielzahl an kleinen und großen Kunstwerken inspirierte. Zugleich visualisiert das Bildthema einen Aspekt des wohl wichtigsten Themas des christlichen Glaubens: Christi doppelte Überwindung des Todes und die Errettung der Seelen aus der ewigen Finsternis.