GEMALTE BILDERRAHMEN – VON RANKENBORDÜREN UND RAHMENARCHITEKTUREN BIS ZUM BLICK IN EINE ANDERE SPHÄRE

Rahmungen gehören seit Anbeginn zur mittelalterlichen Buchmalerei. Sie umgeben Miniaturen und manchmal auch Textseiten, stecken Bildfelder und -räume ab und dienen als zusätzlicher Schmuck. Auch als Ordnungselemente, um Bildern zusätzliche Bedeutungsebenen hinzuzufügen oder komplexe Bilderzählungen zu unterstützen, werden sie immer wieder kunstvoll eingesetzt. Im späten Mittelalter werden sie als breite Bordüren außerdem oft selbst zu unendlichen Räumen figürlicher Darstellungen. Mit diesem Blogbeitrag möchten wir Ihnen einen breiten und informativen Eindruck vom überwältigenden und kunstvollen Formenreichtum buchmalerischer Rahmungenund ihren vielfältigen Ausprägungen vermitteln: Ornamentale Bildrahmungen, Fenster in eine andere Dimension, ganze Landschaften auf kleinstem Raum oder die kunstvolle Täuschung des Auges… Viel Freude beim Entdecken!

Bilder rahmen: Bilderrahmen auf Pergament

Durch sämtliche Stilepochen der Buchmalerei ziehen sich subtile Bilderrahmen, die an physische Holzrahmen für Tafelbilder erinnern. Schattierungen und Weißhöhungen sowie wohl durchdacht gesetzte Linien sorgen dabei für eine dreidimensionale Wirkung.

Oft wurden dabei mehrere verschiedenfarbige Rahmenleisten zu einem Rahmen vereint, so etwa im Atlas des Diego Homen von 1561. Die Miniatur zur Geißelung Christi im Rosenkranz Johannas der Wahnsinnigen bietet hingegen ein wunderbares Beispiel für die Wiedergabe von Rahmenschnitzwerk, das so auch in hölzernen Bilderrahmen zu finden war, die gern ebenso vergoldet wurden.

Goldene Rahmenleisten finden sich auch ohne solche filigranen Details immer wieder in illuminierten Handschriften. Die Beweinung Christi im Rohan-Stundenbuch zeigt eindrucksvoll, dass der Umgang mit solchen Rahmungen sehr frei war und Bildern zusätzliche Bedeutungsebenen verleihen konnte. Hier geben die Rahmenleisten zwar den sichtbaren Bildraum vor, werden jedoch an drei Stellen angeschnitten. Nicht zufällig ragen das Kreuz, Gottvater und der verstorbene Christus über das Bildfeld hinaus: während die trauernden Maria und Johannes der irdischen Sphäre im Bildraum verhaftet bleiben, gehören Christus und Gottvater mit ihrer göttlichen Natur dem unsichtbaren Himmlischen an.

In anderen Fällen passten Buchmaler*innen die Rahmenleisten auch gern den Inhalten ihrer Illumination an und betonten dadurch spezifische Merkmale wie spezielle Formen oder die Größe von Objekten und Figuren. Das Resultat sind einzigartige Rahmenformate, die direkt ins Auge stechen.

Manchmal gaben aber auch die Rahmungen die speziellen Bildformate vor. Vor allem in Kalendarien finden sich häufig Bilder von Monatsarbeiten und Tierkreiszeichen in Medaillons, Pässen oder auch aus verschiedenen geometrischen Formen zusammengesetzten Rahmungen, wie etwa in den Belles Heures du Duc de Berry. Ein besonders eindrucksvolles und berühmtes Beispiel für ein von Medaillons geprägtes Bildprogramm ist die imposante Bibel Ludwigs des Heiligen.

Rahmendes Ornament: Mehr als nur schmückendes Beiwerk

Das gesamte Mittelalter hindurch und darüber hinaus erfreuten sich Buchmaler*innen jedoch ebenso daran, rahmende Zierleisten mit einer schier unendlichen Variation von Ornamenten zu gestalten. Dabei ließen sie sich einerseits von antiken und mittelalterlichen Vorbildern inspirieren, entwarfen aber auch immer wieder neue Ausprägungen auf Grundlage geometrischer, floraler, vegetabiler und linearer Formen. So wurden schmale, vermeintlich schlichte Rahmenleisten oft zu schmuckvollen Bildelementen.

In besonders prachtvollen Luxushandschriften war der Opulenz solcher ornamentalen Rahmungen keine Grenzen gesetzt. Text- und Bildseiten konnten durch goldgeschmückte, breite Rahmen aus feinsten Ornamenten kunstvoll in Szene gesetzt werden.

Opulente Rahmungen für prächtige, goldgeschmückte Codices

Rahmende Buchstaben: Bilder im Rahmen der Schrift

Genauso gut konnten die rahmenden Zierleisten um Miniaturen auch mit Schrift gefüllt werden, die den Betrachter*innen zusätzliche Informationen und Bedeutungsebenen vermittelt. Im Falle des Bischof Warmund-Sakramentars wird der rahmenden Text mit Flechtbandornament als Eckbesatz kombiniert.

Über das gesamte Mittelalter wurden Rahmungen mit Schrift versehen

Schmale Türen und kleine Fenster: Übergänge in eine andere Dimension

Türen, Fenster und Durchgänge sind immer wieder ein spannendes Element mittelalterlicher Kunst. Sie helfen den Betrachtenden dabei, dargestellte Raumsysteme, Zeitebenen und Narrationen zu verstehen. Die Beispiele für diese Art von spielerischem Kunstgriff sind vielfältig und nicht nur in der Buchmalerei zu finden.

In der Miniatur zur Fußwaschung Christi durch die Sünderin Maria Magdalena im Albani-Psalter wird der Durchbruch im Rahmen genutzt, um das Salbölgefäß in der Hand des Dieners außerhalb des Bildraums besonders hervorzuheben. Und tatsächlich wird hier auch eine weitere Zeitebene aufgemacht: Maria Magdalena ist gerade dabei, Jesu Füße mit ihrem Haar zu trocknen. Erst im nächsten Schritt wird sie nach dem Lukasevangelium seine Füße salben. Diese zukünftige Handlung, auf den der Freispruch von ihren Sünden folgt, wird hier kunstvoll ins Bild gebracht.

In Apokalypse-Handschriften wie der Lambeth-Apokalypse und der Cloisters-Apokalypse dienen kleinen Fenster in den Rahmen der Verdeutlichung des Visionscharakters der Offenbarung des Johannes. Der Blick des Heiligen von Außen auf das zukünftige Geschehen am Ende der Zeit wird verständlich in die Bildebene überführt. Johannes erscheint nicht als Teil seiner Vision, sondern als Augenzeuge der heilsgeschichtlichen Prophezeiung. Dadurch wird zudem die Authentizität und Autorität seines im Anschluss verfassten Textes, dem letzten Buch des Neuen Testaments, malerisch untermauert.

Vielschichtige Rahmenprogramme: Komplexe Darstellungen auf kleinstem Raum

In vielen mittelalterlichen Handschriften sieht man sich mehrschichtigen, komplexen Rahmungen gegenüber, die über die äußere Rahmung einer Miniatur hinausgehen. Vielmehr werden innerhalb eines umlaufenden Rahmens durch verschiedene weitere bildinterne Rahmungen weitere Bildfelder differenziert.

Komplexen Rahmen- und Bildprogrammen lag meist ein ausgefeiltes theologisches Konzept zugrunde

Dies betrifft oft symbolisch aufgeladene Christus-Ikonografien wie zum Beispiel die Maiestas Domini – hier zu sehen in der Bibel von St. Paul vor den Mauern und im Speyerer Evangelistar. Die doppelten Rahmungen im Peterborough Psalter waren hingegen eher eine ästhetische und ordnungsbezogene Entscheidung. In anderen Fällen können mehrschichtige Rahmensysteme wiederum der Differenzierung von Raum- und Zeitebenen dienen.

Wenig Platz für viel Kreativität: Marginale Bildräume als Orte großer Schaffenskraft

Zu Rahmungen aus schlichten Zierleisten gesellen sich in der Gotik Rankenbordüren in vielfältigen Varianten, die meist nicht nur Miniaturen, sondern ganze Seiten rahmen. Von den filigranen Dornblattranken, die entweder subtil um die Bildseiten wachsen wie etwa im Turin-Mailänder Stundenbuch oder in gleichmäßiger, üppiger Perfektion die Seitenränder der Belles Heures du Duc de Berry fast vollständig einnehmen.

Der Formenreichtum der Rankenbordüren war schier unendlich - von stilisiertem Filigran bis zu naturalistisch anmutendem Blattwerk

Das Blattwerk der Ranken konnte aber auch größere, vegetabile Formen annehmen und teilweise geradezu naturalistisch Pflanzen, Blüten und Früchte in sich aufnehmen, wie die wunderschöne Seite aus dem Stundenbuch von Rouen vor Augen führt.

Oft wurden diese kunstvollen Rankenbordüren zudem von Tieren, Menschen und Mischwesen bevölkert, die meist ihr humorvolles Unwesen in den Seitenrändern treiben – ganz zum Vergnügen der Benutzer*innen. Diese meist mit dem höfischen Leben verbundenen Szenen finden manchmal auch in Medaillons statt, die in die Ranken eingeschlossen sind oder gar von ihnen selbst geformt werden.

Trompe l‘œil: Die Täuschung des Auges

Mit der Zeit entwickelte die gotische Buchmalerei diese Formen weiter und erfreute sich immer mehr daran, die Bordüren mit täuschend echt wirkenden vegetabilen Blattranken, Blüten, Früchten und kleinen Tieren zu schmücken. Durch ihre naturalistische Gestaltung und ihren natürlich anmutenden Schattenwurf wirken die Bordüren wie Collagen kunstvoll zusammengestellter physischer Objekte, die auf den Seiten liegen – ein Effekt, der sich Trompe l‘œil nennt.

In Trompe l‘œil-Bordüren konnten jegliche Arten von Objekten imitiert und collagenartig zusammengestellt werden

Dieser Effekt konnte auch bezüglich anderer Materialien wie Stein oder Metall erzeugt werden. Gerne wurde kostbares Schmiedewerk mit Edelsteinen imitiert wie beispielsweise im Berliner Stundenbuch der Maria von Burgund. Im Stundenbuch von Borgia-Papst Alexander VI. hingegen wird ein steinernes Raster mit Blumen und Banderolen versehen.

Das Stundenbuch Philipps II. treibt diesen Trend mit der Kunstfertigkeit der Renaissance auf die Spitze. Die Bordüren dieses buchmalerischen Meisterwerks imitieren fast die ganze Bandbreite an Materialität: von zarten Blumen, zierlichen Vögeln und saftigem Obst hin zu Marmor, Gemmen und Edelsteinen. Dazwischen finden sich immer wieder menschliche Figuren und Grotesken.

Unendliche Bildbordüren: Weite Landschaften in schmalen Seitenrändern

Bordüren konnten außerdem ganze (Stadt-) Landschaften aufnehmen, die meist einen inhaltlichen Bezug zur Miniatur oder zum Text haben, die oder den sie umgeben. So wurde es in den Stunden- und Gebetbüchern der Gotik und Renaissance äußerst beliebt, die Monatsbilder in den Kalendarien in Bildbordüren zu überführen. Das Croy-Gebetbuch zeigt etwa auf den beiden Seiten zum Monat September die Weinernte und -kelterei in weiten Landschaften.

Manchmal ließen die Buchkünstler*innen die zentralen Bildszenen auch mit den umgebenden Bordüren verschmelzen, was eine ganz eigene Ästhetik hervorbrachte und die kreierten Bildräume besonders weit erscheinen lässt. Zudem konnte man so das gesamte Seitenformat ausnutzen wie das Rohan-Stundenbuch und das Stundenbuch Philipps II. umwerfend demonstrieren.

Nicht immer grenzen Rahmungen ein Innen von einem Außem ab

Hammer, Meißel und Winkel: Rahmende Fantasiearchitekturen

Der Gestaltung der marginalen Bildräume waren keine Grenzen gesetzt. Architektonische Rahmungen haben in der mittelalterlichen Buchkunst eine lange Tradition und so ist es kein Wunder, dass die gotischen Bordüren oft auch detailreich mit architektonischen Elementen ausgestattet wurden. Besonders faszinierend sind Bildbeispiele, in denen Miniatur und Bordüre räumlich in Kommunikation stehen. So zeigt die Bordüre des Stundenbuchs von Borgia-Papst Alexander VI. zum Beispiel einen liturgischen Raum mit einem für die Messe hergerichteten Altar. Darüber ist die zentrale Miniatur mit der Kreuzigungsszene wie durch ein Fenster in die Vergangenheit zu beobachten. Zugleich wird das Schlüsselereignis des Christentums in die Gegenwart der oder des Betenden überführt, die in der Bordüre repräsentiert wird.

Das Bild als Fenster: Gemalte Fensterrahmen

In der Renaissance-Buchmalerei wurden diese Architektur-Bordüren schließlich zu Imitationen von realen Fensterrahmen weiterentwickelt, die durch Schattenwürfe und perspektivische Darstellungen einen starken Eindruck von Tiefenräumlichkeit vermitteln. Das entspricht der frühneuzeitlichen Vorstellung des Bildes als Fenster in den Raum des Dargestellten. Dabei konnte es sich um weite Landschaften, weitere Architekturen oder konkrete Zimmer handeln wie das Wiener Exemplar von Petrarcas Triumphen und das Kleinodienbuch der Herzogin Anna von Bayern wunderschön vorführen.

Zierliche Säulen und filigrane Baldachine: Subtile Bildbegrenzungen

Das gesamte Mittelalter hindurch wurden Miniatur auch immer wieder in subtilere Formen der architektonischen Rahmung eingefasst. Meist wird lediglich die Assoziation zu einer Bogenarchitektur geweckt, indem das Bildfeld von zwei Säulen flankiert wird, die durch Bögen, Baldachine oder Dachkonstruktionen verbunden sind. Manchmal sind diese Rahmungen so zurückhaltend gestaltet, dass sie erst auf den zweiten Blick auffallen – so etwa im Ingeborg-Psalter.

Diese Formensprache basiert auf der antiken Tradition, Hoheiten und Autoren unter Baldachinen und Bogenarchitekturen darzustellen. Sie wurde bereits im frühen Mittelalter für jegliche Bildnisse von Autoritäten übernommen und blieb im ikonografischen Kanon lange stark verankert. Die wohl eingängigste Ausprägung dieser Tradition ist der Typus des Evangelistenbildes, in dem jeweils ein Evangelist begleitet von seinem Symboltier als Autor unter einer Bogenarchitektur erscheint.

Fesselnde Raumkonstrukte: Gebaute Bildräume auf Pergament

Andererseits konnten Rahmungen aus architektonischen Formen auch vielgliederig und dominant ausfallen, was das Salzburger Perikopenbuch kunstvoll vor Augen führt. Mauern, Türme, Häuser, Bögen und Durchgänge ergeben oft komplexe Bildräume, in denen mehrere Handlungs- und Zeitebenen verbunden werden. Die rahmenden Architekturengeben dabei die Struktur der Bilder vor und bestimmen die Ästhetik maßgeblich mit.

Altehrwürdige Tradition: Kunstvollen Arkaden für den Evangelienkanon

Eine weitere spätantike Tradition ist die Rahmung der Kanontafeln durch Säulenarkaden, bei deren Gestaltung mittelalterliche Buchmaler*innen ihrer Kreativität und Fantasie freien Raum ließen. Während die Bogenfelder meist mit evangelienbezogenen Bildern ausgestattet sind, zeigt sich in den restlichen architektonischen Elementen eine atemberaubende Vielfältigkeit an Farben, Ornamenten und Kapitellen. Oft sind zudem Tiere und Pflanzen Teil dieser variantenreichen Rahmungen.

Unbegrenzte Möglichkeiten: Rahmenlose Buchmalerei

Den Gegenpart zu den vielen gerahmten Miniaturen bilden jene Buchmalereien ohne Rahmungen. Sie sind ebenso häufig im gesamten Mittelalter vertreten und sorgen für eine stärkere visuelle Verbindung von Text und Bild.

Rahmen grenzen das Bild hingegen eher vom Text ab und erschaffen klare selbstständige Bildräume. Für welchen Darstellungsmodus sich entschieden wurde, war dabei niemals zufällig, sondern folgte der jeweiligen Gesamtkonzeption eines Buches. Rahmungen konnten innerhalb dieser vielfältige und wichtige Funktionen einnehmen. Sie können daher nicht nur als reiner Schmuck, sondern zugleich als Bild- und Bedeutungsträger sowie als gestalterisches Ordnungselement der Buchmalerei angesehen werden.