Mythologie

Mythen, Sagen und Legenden waren beliebte Formen mittelalterlicher Literatur. Aus der Verschmelzung christlicher und heidnischer Traditionen entwickelten sich im Mittelalter verschiedene Schöpfungs- und Ursprungsmythen, Legenden und Volkserzählungen. Einige davon gingen auf die heidnische Kultur der griechisch-römischen Antike zurück, wie etwa der immens beliebte Mythos vom Trojanischen Krieg, oder auf eine jahrtausendalte Erzähltradition wie die Bibel. Wieder andere entwickelten sich aus teils historischen, teils fiktional überhöhten Erzählungen aus dem Frühmittelalter und rankten sich um Figuren wie König Artus und Karl den Großen.

Mythen waren, ähnlich moderner Fiktion, die „Erfindungen“, die sich die mittelalterlichen Europäer gegenseitig erzählten, um zu den tieferen Wahrheiten des Lebens vorzudringen oder um gesellschaftliche Bräuche, Institutionen und Tabus zu begründen. Bei Legenden und Sagen wiederum handelte es sich um hochstilisierte Nacherzählungen von Geschichten, in deren Mittelpunkt Menschen standen, die möglicherweise gelebt haben, über die jedoch wenig Wissen existierte – wie zum Beispiel Siegfried oder Agamemnon.

Obwohl durch das Mittelalter hindurch illuminierte Handschriften mit Darstellungen verschiedener Mythen, Legenden und Sagen gefertigt wurden, erwachte vor allem im Spätmittelalter und im Renaissance-Humanismus (als Fürstenhäuser ihre Abstammung von Helden aus Troja belegen wollten) ein neues Interesse an diesen alten Stoffen und führte zur ersten formalen Erforschung der Mythologie im Westen seit der Spätantike.

Veranschaulichung anhand einer Beispielseite

Guido de Columnis: Der Trojanische Krieg

Hochzeit von Paris und Helena

Homers epische Erzählung von der Zerstörung Trojas, wie sie Guido de Columnis aufgeschrieben hat, liebte das mittelalterliche Publikum wegen ihrer Szenen aus Krieg, ritterlicher Romantik und Hofleben. Die Liebe zwischen dem trojanischen Prinzen Paris und der spartanischen Prinzessin Helena war der Auslöser für das Blutvergießen des Trojanischen Krieges. Aber inmitten dieser Geschichte von Göttern und Menschen, die miteinander kämpfen, ist dies eine Szene der Liebe und Ruhe.

Die Hochzeit wird in den Kontext einer gotischen Kathedrale verlegt, was durch das spitz zulaufende Portal zu erkennen ist. Sowohl Braut als auch Bräutigam werden als schlanke Figuren mit dichten, sorgfältig frisierten braunen Haaren, kleinen Nasen, geschürzten Lippen und rosa Wangen dargestellt. Paris trägt eine grüne Tunika und Beinkleider, während Helena in ein Kleid mit einer langen Schleppe in Rosa und Grau gewandet ist.