Goldener Psalter von St. Gallen
Bei diesem Psalterium aureum handelt es sich um ein spätkarolingisches Meisterwerk von außerordentlicher Pracht. In Soissons im Umfeld Ludwigs des Deutschen begonnen, wurde der Codex im berühmten Skriptorium von St. Gallen Ende des 9. Jahrhunderts vollendet und kunstvoll illuminiert. Während die Psalmen fast gänzlich in Gold erstrahlen, ziehen die ausdrucksstarken Miniaturen die Blicke mittels leuchtender Farben wie Purpur und Mennige auf sich. Die alttestamentlichen Szenen geben uns zudem einen Einblick in die frühmittelalterliche Welt im ostfränkischen Reich. Außergewöhnlich ist auch der gute Erhaltungszustand der Handschrift, die niemals von ihrem Entstehungsort entfernt wurde und noch heute in der Stiftsbibliothek St. Gallen verwahrt wird.
Goldene Pracht von vor über 1100 Jahren
Die Arbeit am Goldenen Psalter von St. Gallen begann vermutlich in einem Skriptorium in Soissons – womöglich im Umfeld des ostfränkischen Königs und Enkels Karls des Großen Ludwig dem Deutschen (um 806–876). Wer genau die luxuriöse Handschrift in Auftrag gab, ist leider nicht überliefert, zumal sie während dieser ersten Arbeitsphase nicht fertiggestellt wurde. Die ungebundenen Blattlagen kamen gegen 870/80 ins Kloster St. Gallen, das zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert zu den einflussreichsten und wichtigsten Skriptorien Europas gehörte und damit ein kulturelles Zentrum der Zeit war. Dort wurde das Manuskript in zwei weiteren Arbeitsphasen (883–888 und zwischen 890 und 900) überarbeitet, vervollständigt und illuminiert.
Ein „Psalterium aureum“ aus St. Gallen
Nicht grundlos wird der Codex auch als Psalterium aureum bezeichnet: Die alttestamentlichen Psalmentexte erstrahlen gänzlich in goldenen karolingischen Minuskeln, während die Tituli in einer monumentaler anmutenden Capitalis Rustica aus Gold oder Mennige ausgeführt wurden. Zwar wurde der Text in Soissons zunächst – wahrscheinlich aus Kostengründen – mit Messingtinte geschrieben, doch wurde diese meist dazu genutzt, um die Wirkung von Goldtinte zu imitieren. Später wurden diese Teile des Textes von den St. Galler Buchmalern mit echter Goldtinte nachgezogen und auch die fehlenden Psalmen wurden in Gold ergänzt. Durch diese Besonderheit erhielten die goldenen Buchstaben einen ganz eigenen Charakter, der sie an manchen Stellen gelblicher und an anderen grünlicher erscheinen lässt. Die über 1000-jährige Patina trägt dazu ihr übriges bei. Vollendet wird dieses chrysografische Meisterwerk durch zahlreiche große und mittelgroße Initialen aus goldenen mit Flechtband und vegetabilen Ornamenten geschmückten Buchstabenkörpern.
Alttestamentliche Figuren in karolingischem Gewand
Auch die 17 Miniaturen, von denen neun eine ganze Seite einnehmen, wurden erst in St. Gallen ergänzt. Der Protagonist der meist narrativen Bilder ist König David, der nicht nur als König der Israeliten und Bezwinger Goliaths bekannt war, sondern dem im Mittelalter auch die Autorschaft der Psalmen zugeschrieben wurde. So zeigen die meisten Illuminationen Szenen aus Davids Leben. Die kunstvolle spätkarolingische Malerei zeichnet sich dabei sowohl durch antikisierende Reminiszenzen als auch durch zweidimensionale Figuren mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik und eine lebendige Farbpalette, die von Purpur, Mennige, Grün und Gold bestimmt wird, aus. Viele der alttestamentlichen Figuren fallen zudem durch ihre fränkische Tracht auf, die sie in die Entstehungszeit des Psalters versetzt und uns damit heute einen fesselnden Einblick in die Welt des karolingischen Frühmittelalters geben.
Ein goldener Schatz der Stiftsbibliothek St. Gallen
Mit dieser über den Maßen prachtvollen Ausstattung diente das liturgische Buch wohl nicht für die alltäglichen Gebete der Mönche, sondern wurde vielmehr an hohen Festtagen in St. Gallen genutzt und wahrscheinlich auch für hochrangingen Besuch ausgestellt. Noch heute befindet sich das wertvolle und außergewöhnlich gut erhaltene Manuskript nach jahrhundertelanger Nutzung am Ort seiner Entstehung, in der Abtei am Steinach, und wird mittlerweile als einer der prächtigsten Schätze der Sammlung der Stiftsbibliothek in einem schützenden Tresor verwahrt.
Kodikologie
- Alternativ-Titel
- Golden Psalter of St. Gall
Psalterium aureum - Umfang / Format
- 344 Seiten / 37,0 × 28,0 cm
- Herkunft
- Schweiz
- Datum
- Ca. 870–900
- Epoche
- Stil
- Sprache
- Schrift
- Karolingische Minuskel Capitalis Rustica
- Buchschmuck
- 17 prachtvolle Miniaturen, zahlreiche große Zierinitialen, goldene Schrift
- Inhalt
- Buch der Psalmen
- Auftraggeber
- Vermutlich aus dem Umfeld Ludwigs des Deutschen
Goldener Psalter von St. Gallen
König David im Haus seiner Frau Michal
Michal war die jüngste Tochter König Sauls und die erste Frau Davids. Sie verliebte sich kurz nach dessen Sieg über Goliath in ihn, was ihr Vater missbilligte, da er in ihm einen Konkurrenten sah. Saul willigte zunächst trotzdem in die Ehe ein, nur um David daraufhin töten zu lassen – was nicht gelang. Nachdem Saul David erneut fast mit einem Speer ermordet hatte, floh dieser in das Haus seiner Ehefrau, die ihm zunächst Unterschlupf gewährte und ihm dann zur Flucht verhalf, als Soldaten ihr Haus durchsuchten. Die Miniatur zeigt bemerkenswerterweise nur die Soldaten und David, versteckt im schreinartigen Haus Michals, deren Rolle in der Geschichte im Bild geradezu negiert wird. Der sich um die ungerahmte Miniatur legende Textabschnitt, der die Szene beschreibt, greift das leuchtende Mennige der Miniatur auf, wodurch Text und Bild gekonnt verschränkt werden.
Goldener Psalter von St. Gallen
David als königlicher Sänger
Auf dieser Seite gibt ein Rundbogen auf zwei prächtigen Säulen den Blick frei auf eine ausgelassene Szenerie: Vier symmetrisch angeordnete Tänzer mit Storchschnabelklappern und Schleiern tanzen zu der Melodie, die der thronende König David auf seiner Cithara anstimmt. Dabei erzeugen das helle Kolorit und die goldenen Konturlinien der Figuren einen kunstvollen Kontrast zu dem purpurnen Hintergrund. Die Darstellung Davids als königlicher Sänger mit Cithara entwickelt sich im frühen Mittelalter zum Standardrepertoire der Psalter-Illumination. Diese Tradition wurde auch von dieser prachtvollen ganzseitigen Miniatur mitbegründet.
Als Cithara wurden im Mittelalter verschiedene lyra- und lautenartige Saiteninstrumente bezeichnet. Die hier dargestellte Cithara, die David in seiner Linken hält, erinnert mit dem kleinen runden Schallkörper am oberen Ende und dem daran anschließenden langen Hals mit drei Saiten an eine umgekehrte Laute. Zwischen seinem rechten Daumen und Zeigefinger hält er das dazugehörige Plektron, hier ein dünnes goldenes Stäbchen mit abgewinkeltem Ende.
#1 Der Goldene Psalter von St. Gallen
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