Andreas Vesalius: De Humani Corporis Fabrica
In der Mitte des 16. Jahrhunderts galt das Sezieren menschlicher Leichen als absolutes Tabu und wurde teilweise hart bestraft. Man versuchte, aus der Erforschung von Tierkadavern medizinische und anatomische Erkenntnisse zu gewinnen. Dies genügte dem ehrgeizigen Medizinstudenten Andreas Vesalius jedoch nicht. Er beschaffte Leichen in abenteuerlichen Nacht-und-Nebel-Aktionen von Friedhöfen und verwendete sie für seine Studien, die den Grundstein der modernen Anatomie bildeten. Vesalius hielt seine Erkenntnisse in seinem anatomischen Atlas De humani corporis fabrica fest. Diese medizinische Abhandlung ist eines der wichtigsten Werke über die menschliche Anatomie, das je geschrieben wurde, und ist mit meisterhaften Holzschnitten illustriert.
Andreas Vesalius: De Humani Corporis Fabrica
Obwohl Vesalius' Werk nicht das erste war, das auf tatsächlichen Autopsien basierte, und auch nicht das erste dementsprechende Werk in dieser Epoche, wurde es sofort zu einem Klassiker: aufgrund der Qualität seiner Ausstattung – hochdetaillierte und komplizierte Schnitte – und auf Grund des hochwahrscheinlichen Umstands, dass die Künstler, die es schufen, bei den Obduktionen selbst anwesend waren. Vesalius ließ das Werk im Alter von 28 Jahren veröffentlichen, wobei er sich große Mühe gab, die hohe Qualität sicher zu stellen. Die mehr als 250 Illustrationen sind von großem künstlerischen Wert und werden von modernen Gelehrten im Allgemeinen dem "Atelier des Tizian" zugeschrieben. Dieser prachtvoll illustrierte Codex stellt somit einen Eckpfeiler der modernen Medizin dar.
Holzschnitte von höchster Qualität
Diese Holzschnitte waren den Illustrationen in den damaligen anatomischen Atlanten weit überlegen, da diese nie von Anatomieprofessoren selbst angefertigt wurden. Jeder Druckstock wurde nach Basel in die Schweiz transportiert, da Vesalius wollte, dass das Werk von einem der führenden Drucker der damaligen Zeit, Johannes Oporinus, veröffentlicht werden sollte. Vesalius' schriftliche Anweisungen an den Drucker Oporinus waren jedoch so wertvoll, dass der Drucker beschloss, sie mit aufzunehmen. Die Illustrationen wurden in Holz gestochen, was einen sehr hohen künstlerischen Wert ermöglichte. Das Buch enthält Diskussionen und Illustrationen über die Struktur, Funktion und Pathologie des menschlichen Körpers. Die verschiedenen Körperteile sind in Latein, Griechisch und Hebräisch benannt. Der Autor nimmt genauso die Meinungen anderer Lehrautoritäten zur Kenntnis wie er seine eigenen Ansichten ausdrückt. Das Buch enthält auch Geschichten über seine Erfahrungen bei Grabräubern und Obduktionen. Die Illustrationen stellen den menschlichen Körper in fortschreitenden Stadien der Sezierung dar, setzen ihn vor eine Landschaft und bringen ihn nach dem Geschmack der Zeit wie eine Skulptur der klassischen Antike in Pose. Auf einem Schnitt ruht zum Beispiel ein Skelett mit dem Ellbogen auf einem Grab, dessen Schädel in der Betrachtung der Sterblichkeit gesenkt ist - wenn auch vielleicht etwas spät! Bald nach der Veröffentlichung erschienen viele Raubkopien und brachten Vesalius europaweiten Ruhm ein.
Über den Autor
Andreas Vesalius (1514-1564) war wohl der berühmteste Anatom der Spätrenaissance. Er stützte sich auf die Erkenntnisse seiner eigenen Sezierungen und lieferte eine für seine Zeit ungewöhnliche Beschreibung des menschlichen Körpers mit einem bis dahin beispiellosen Grad an Genauigkeit. Er wurde entweder am letzten Tag des Jahres 1514 oder am ersten Tag des Jahres 1515 in Brüssel geboren und stammte aus einer Arztfamilie, was der Grund für seine Hingabe an Chirurgie und Anatomie gewesen sein muss. Im Alter von 15 Jahren verließ er Brüssel, um in Löwen zu studieren. Später studierte er Medizin in Montpellier und Paris, bevor er wieder nach Löwen zurückkehrte, diesmal jedoch nicht als Student, sondern um Anatomie zu unterrichten. Später lehrte er an der renommierten Universität Padua und war Gastdozent an der Universität Bologna. Er war erst 28 Jahre alt, als er seine großen Werke veröffentlichte, die De Humani Corporis Fabrica libri septum und Epitome, wobei letzteres die zusammengefasste Version des Originals ist, eine billigere und kürzere Version, die speziell für seine Studenten angefertigt wurde. Die Büchersammlung basiert auf seinen Vorlesungen aus Padua, bei denen er von der üblichen Praxis abwich, indem er eine Leiche sezierte, um zu veranschaulichen, was er unterrichtete. Obduktionen waren zuvor von einem Barbier mit chirurgischen Fähigkeiten unter der Leitung eines Doktors der Medizin durchgeführt worden, der erwartungsgemäß keine "Handarbeit" zu leisten hatte. Vesalius' magnum opus legt dagegen „Hand an“ und präsentiert eine sorgfältige Untersuchung der Organe und der gesamten Struktur des menschlichen Körpers. Aus diesem Grund wird Vesalius oft als Vater der modernen Anatomie angesehen.
Herstellung des Codex
All dies wäre ohne die vielen Fortschritte, die während der Renaissance gemacht worden waren, nicht möglich gewesen. Dazu gehörten sowohl künstlerische Entwicklungen im Hinblick auf die visuelle Darstellung als auch die technische Entwicklung des Drucks verfeinerter Holzschnitte. Aufgrund dieser Errungenschaften und seiner sorgfältigen, unmittelbaren Beteiligung war Vesalius in der Lage, Illustrationen herzustellen, die allen bis dahin entstandenen überlegen waren. Er beauftragte den ehemaligen Tizian-Lehrling Jan van Kalkar mit der Herstellung der künstlerischen und wissenschaftlichen Illustrationen des Buches. Nach der Veröffentlichung des Buches schickte Vesalius Kaiser Karl V. ein wunderschönes, in kaiserliche Purpurseide gebundenes und auf Pergament gedrucktes Exemplar. Als es der Kaiser erhielt, rief er ihn an seinen Hof und bat Vesalius, als kaiserlicher Chirurg zu arbeiten. Daraufhin schlug Vesalius das Angebot des Cosimo de Medici aus, der ihm einen Lehrstuhl als Professor an der Universität von Padua angeboten hatte. In den folgenden elf Jahren reiste Vesalius mit dem Hof, behandelte Verletzungen aus Schlachten oder Turnieren, führte Obduktionen durch, verabreichte Medikamente und schrieb private Briefe zu spezifischen medizinischen Fragen. Nach der Abdankung Kaiser Karls V. blieb er am Hof in großer Gunst bei dessen Sohn Philipp II., der ihn mit einer lebenslangen Rente belohnte, indem er ihn zum Pfalzgrafen machte. 1555 veröffentlichte er eine überarbeitete Ausgabe von De humani corporis fabrica. 1564 unternahm Vesalius eine Pilgerreise ins Heilige Land. Als er in Jerusalem ankam, erhielt er eine Botschaft des venezianischen Senats, in der er erneut gebeten wurde, die Professur anzunehmen, die durch den Tod seines Freundes und Schülers Fallopius in Padua vakant geworden war. Nachdem er tagelang mit den widrigen Winden zu kämpfen hatte, erlitt er auf der Insel Zakynthos Schiffbruch erlitten. Er wurde 1564 irgendwo auf der Insel Korfu begraben.
Kodikologie
- Umfang / Format
- 890 Seiten / 38,5 × 25,0 cm
- Herkunft
- Schweiz
- Datum
- 1555
- Stil
- Sprache
- Buchschmuck
- Mehr als 250 Holzschnittillustrationen
- Inhalt
- Die Anatomie des menschlichen Körpers in Text und Bild
- Künstler / Schule
- Andreas Vesalius (Autor)
Jan Stephan van Calcar (Graveur)
Johannes Oporinus (Drucker)
Andreas Vesalius: De Humani Corporis Fabrica
Titelseite - Autopsie eines menschlichen Leichnams im Hörsaal
Während der Autor auf den Leser schaut und ihm mit der Hand den geöffneten Bauch des Leichnams zeigt, drängt sich eine riesige Menge Studenten um den Seziertisch, während andere (gemeinsam mit dem Tod) von weiter oben aus zuschauen. Ein Lehrbuch, möglicherweise die vorliegende Abhandlung, ist in den Händen eines jungen und glattrasierten Medizinstudenten links zu sehen, dessen Kollegen sich um ihn scharen. Ein anderer mit tief sitzenden Augen klammert sich an die Brust eines Mannes und beobachtet die Autopsie zusammen mit einem weiteren alten bärtigen Arzt von der rechten Seite aus.
Andreas Vesalius: De Humani Corporis Fabrica
Titelseite - Autopsie eines menschlichen Leichnams im Klassenzimmer
Das Präparieren des menschlichen Körpers war lange umstritten. Bevor es von christlichen Theologen verboten wurden, reichen die westlichen Beschränkungen, einen menschlichen Körper zu „verletzen“, bis in die griechische und römische Antike zurück. Friedrich II. (1194–1250), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, forderte Medizinstudenten erstmals zur Teilnahme an Humansektionen auf, und zur Zeit der Renaissance wurden Autopsien an europäischen Universitäten üblich.
Andreas Vesalius, der Verfasser dieses Textes, ist links von der Leiche abgebildet, wobei seine rechte Hand leicht auf dem offenen Bauch ruht. Er befindet sich in der Mitte des detaillierten Holzschnitts, in dem ein mit Menschen völlig überfüllter Operationssaal dargestellt ist, die sich um einen Blick auf die Autopsie bemühen. Der Tod in Form eines seine Sense schwingenden Skeletts steht am Kopf des Seziertisches.
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