Skizzenbücher

Künstler waren, wie die meisten Menschen im Mittelalter, in den Möglichkeiten der Erleb- und Erfahrbarkeit der übrigen Welt stark eingeschränkt. Dennoch wurde von ihnen erwartet, dass sie alles darstellten, was von den Auftraggebern gewünscht wurde. Musterbücher boten hier ein nützliches Hilfsmittel: sie übermittelten Abbildungen verschiedener Buchstaben, Muster und vor allem exotischer Tiere und Posen und Gesichter von Menschen, die als korrekt galten.

Ursprünglich als Lernhilfe für Lehrlinge gedacht, änderte sich der Einsatz der Musterbücher nach und nach und bald wurden sie als Skizzenbücher bezeichnet. Als solche wurden sie verwendet, um potentiellen Auftraggebern die Fertigkeit und die Vielfalt der Stile eines Künstlers oder einer Werkstätte zu präsentieren. So trugen sie nicht nur dazu bei, Kunden zu überzeugen, sondern boten diesen auch die Möglichkeit, auf die Gestaltung ihrer personalisierten Manuskripte Einfluss zu nehmen. Letztendlich haben diese Kodizes ein künstlerisches Erbe hinterlassen, das für die nachkommenden Künstlergenerationen der Vormoderne eine wichtige Inspirationsquelle darstellte.

Veranschaulichung anhand einer Beispielseite

Musterbuch des Giovannino de Grassi

Junger Hirsch und Jagdhunde

In einer Zeit, in der Reisen noch gleichermaßen teuer und gefährlich waren, mussten Künstler über die Welt viel aus Musterbüchern lernen, die verschiedene kalligraphische Stile, kunstvolle Muster, Modelle menschlicher Gesten und Ausdrucksformen sowie Pflanzen und Tiere zeigten. Spätere Versionen wurden von Künstlern verwendet, um mit potentiellen Kunden persönliche Vorlieben und Wünsche des Auftraggebers absprechen zu können.

Diese Seite diente vermutlich als Vorlage für Jagdszenen oder ähnlich gelagerte Marginalien. Im Vordergrund sehen wir im Gras einen entspannten Hirsch mit Gabler-Geweih - er ist also noch zu jung, um als Jagdtrophäe zu dienen. Oben sehen wir zwei Jagdhunde, die bei der Jagd auf ihn eingesetzt werden könnten: eine Art Windhund oder möglicherweise ein Alaunt, der links sitzt, und eine frühe Form eines Bluthunds oder Mastiffs, der sich rechts streckt und dehnt.