Stammheimer Missale
Ein Missale enthält alle Gebete und Gesänge, die für die Durchführung der Messe erforderlich sind - und das Stammheimer Missale ist ein besonders schönes Beispiel dafür - vielleicht schönste Werk deutscher romanischer Buchmalerei überhaupt. Es entstand um 1170 im Skriptorium der Abtei St. Michael in Hildesheim und wurde wohl von einem Buchmaler und drei Schreiber gefertigt. Dabei wurden nicht nur feinste Materialien in Hülle und Fülle verwendet, sondern ein Bildprogramm aus ganzseitigen Miniaturen und kunstvolle Initialen entworfen, das eine seltene theologische Komplexität auszudrücken vermag. Das daraus resultierende Gesamtkunstwerk zeigt so eine unglaubliche Mischung aus Dynamik, Lebendigkeit und Majestät.
Das Stammheimer Missale
Dieses exquisit gestaltete, bemerkenswert vollständige und künstlerisch komplette Messbuch vielleicht das größte Meisterwerk der deutschen romanischen Buchmalerei. Die künstlerische Umsetzung ist wunderschön, die Materialien einzigartig und das Bildprogramm perfekt geplant: Die symmetrischen Miniaturen sind reich mit Blattgold- und Temperapigmenten geschmückt und auf fast jeder Seite schimmert glänzendes Gold und Silber. Im Gegensatz zu den meisten Missale scheint dies nicht für den regelmäßigen Gebrauch während der Messe gedacht gewesen zu sein, sondern eher als biblischer Schatz oder liturgischer Schrein für das Kloster. Zum Glück ist der kostbare Codex bis heute in einem unglaublich gut erhaltenen Zustand erhalten geblieben und stellt so einen der größten Schätze des J. Paul Getty Museum in Los Angeles dar.
Ein romanisches Meisterwerk
Erstellt um 1170 im Skriptorium der Abtei St. Michael in Hildesheim ist das Stammheimer Missale wohl der schönste und reinste Ausdruck des romanischen Stils in Deutschland. Dieses großartige Manuskript wurde zu Ehren von Bernward von Hildesheim (ca. 960–1022) beauftragt, den Gründer des Stiftes Hildesheim, der im Jahr 1193 heiliggesprochen wurde. Er ist in einer wunderschönen, ganzseitigen Miniatur auf Fol. 156r gegen Ende des Codex abgebildet. Die Miniaturen im Codex sind nicht nur perfekt ausgeführt - sie verfügen über eine unglaubliche Mischung aus Dynamik, Lebendigkeit und Majestät - sie wurden auch mit einer seltenen theologischen Komplexität entworfen. Ihre Lebendigkeit findet sich in den Stellungen, Gesten und Blicken der Figuren, während ihr monumentaler Charakter von byzantinischen Einflüssen herrührt: geometrische Rahmen, symmetrische Bildstrukturen und polierte Goldblatthintergründe. Somit kann das Manuskript zu den schönsten illuminierten Manuskripten gezählt werden, die vom Mittelalter bis heute erhalten geblieben sind.
Die Kunst der historisierten Initiale
Die aufwendig verzierten Initialen dieser Hildesheimer Handschrift sind ebenso perfekt in der Ausführung wie die Miniaturen und stimmen mit ihrer Symmetrie und Farbigkeit in die Gesamtästhetik ein. Größere historische Initialen umfassen 5 bis 18 Zeilen und enthalten figurative Szenen, die von Menschen, Tieren und mystischen Kreaturen bevöltert werden. Kleinere dekorative Initialen haben keine figuralen Elemente, aber selbst die einfachsten zeichnen sich durch ein elegantes geometrisches Design aus. Die größte und prunkvollste ist eine "B"-Initiale auf Folio 58r, das den Gesang für das Fest des heiligen Michael, dem Schutzpatron der Abtei, einläutet. Der Buchstabe selbst stellt den Mund eines Drachen dar und ist gefüllt mit Figuren, die an der Weinlese und -herstellung beteiligt sind. Ein Mann oben schneidet eine Rebe mit einer kleinen Sichel, ein anderer erntet Trauben von Hand, ein dritter steckt einen Löffel mit langem Griff in einen Eimer Trauben. Dazwischen beschäftigen sich zwei andere Männer mit der Abwehr verschiedener Tiere, die die Ernte bedrohen - einer spannt gerade einen Bogen, während ein anderer bedrohlich eine Keule über seinen Kopf schwingt.
Ehrfürchtig durch die Jahrhunderte hinweg bewahrt
Das Stammheim-Missale hat sich in einem nahezu fehlerlosen Zustand erhalten und die Farben sind noch heute so hell wie das Blattgold selbst. Es wurde in Hildesheim aufbewahrt, bis 1803 der letzte Fürstbischof von Hildesheim, Franz Egon Freiherr von Fürstenberg (1737–1825), es in seine persönliche Obhut nahm. Es blieb für fast zwei Jahrhunderte in der Privatbibliothek des Familienschlosses Stammheim in Köln, nach dem es auch benannt wurde, bevor es 1997 vom Getty Museum erworben wurde. Weil nur drei Besitzer in acht Jahrhunderten dieses Kleinod ihr Eigen nennen durften und alle überaus sorgsam damit umgingen, können moderne Betrachter dieses Kunstwerks in all seiner ursprünglichen, unverfälschten Pracht erleben.
Kodikologie
- Alternativ-Titel
- Stammheim Missal
- Umfang / Format
- 368 Seiten / 28,2 × 18,9 cm
- Herkunft
- Deutschland
- Datum
- Ca. 1170
- Epoche
- Stil
- Sprache
- Buchschmuck
- 12 ganzseitige Miniaturen; 3 reich verzierte Incipit-Seiten; 10 halbseitige Zierinitialen; 37 große und hunderte von kleineren goldenen Initialen; zwölf Kalenderseiten; 29 Seiten mit gemalten Arkaturrahmungen; funkelndes Gold auf allen Seiten, glänzendes Silber und intensiv leuchtende Farben
- Vorbesitzer
- Benediktinerkloster St. Michael
Franz Egon Freiherr von Fürstenberg
Stammheimer Missale
Die Erschaffung der Welt
Diese Gold- und Silberminiatur aus der Eröffnungsseite des deutsch-romanischen Meisterwerks ist geometrisch perfekt ausbalanciert und mit tiefen Primärfarben bemalt. In der Mitte sehen wir die Hand Gottes, die Eva aus Adams Rippe erschafft, während dieser schläft. Sie sind umgeben von sechs Medaillons, die die Erschaffung der Welt darstellen, mit Inschriften aus der Genesis, die die Ereignisse eines jeden Tages beschreiben, beginnend im oberen linken Quadranten mit Fiat lux et facta est lux (Es werde licht und es ward Licht).
Stammheimer Missale
"A"-Initiale: König David und ihn begleitende Musiker
Diese aufwendige Initialseite führt in die Gesänge ein, die in der Messe am ersten Adventssonntag gesungen werden. Sie stellt den berühmtesten Musiker und Dichter der Bibel, König David, dar, der im Rondell oben auf der Seite die Leier schlägt. Er wird von zwei weiteren Musikern begleitet, von denen einer Geige spielt und der andere auf einem Horn bläst, während ein nackter Mann zwischen den bunten Ranken Drachen erlegt.
Die weiche, runde Grundstruktur bildet ein farbenfrohes und dynamisches Muster aus Wirbeln und Verstrickungen mit einem Hintergrund aus Blattgold und -silber. Wirbelnde Ranken, die oft Drachen und andere Tiere darstellen, sind ein Merkmal der insularen Buchkunst, das in diese romanische Handschrift übertragen wurde. Die Identität des nackten Drachentöters im Zentrum ist dagegen weniger eindeutig: Er ist weder mit dem Heiligen Georg noch dem Erzengel Michael zu identifizieren.
#1 Das Stammheimer Missale
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