Evangeliar der Mathilde von Canossa

Evangeliar der Mathilde von Canossa – Roxburghe Club – MS M.492 – Morgan Library & Museum (New York, USA)

Kloster von San Benedetto in Polirone, Mantua (Italien) — Ca. 1075–1099

Das Auftragswerk einer der mÀchtigsten Frauen zur Zeit des Investiturstreits: GrÀfin Mathilde von Toskana nicht nur als politische Vermittlerin, sondern auch als KunstmÀzenin mit erlesenem Geschmack

  1. GrÀfin Mathilde von Toskana (ca. 1046-1115) gab das Manuskript etwa 1075-99 in Auftrag

  2. 6 ganzseitige Miniaturen, 6 kleinere Miniaturen, 4 Incipitseiten und 7 Kanontafeln schmĂŒcken das Werk

  3. Es war ein Geschenk an die Abtei von San Benedetto in Polirone, die von ihrem Großvater gegrĂŒndet worden war

Evangeliar der Mathilde von Canossa

  1. Beschreibung
  2. Faksimile-Editionen (1)
Beschreibung
Evangeliar der Mathilde von Canossa

MarkgrĂ€fin Mathilde von Canossa war in der zweiten HĂ€lfte des 11. Jahrhunderts eine der mĂ€chtigsten Adligen Italiens und vermittelte eine Einigung im Investiturstreit, der als Machtkampf zwischen Kaiser Heinrich IV. und Papst Gregor VII. begann und bei dem es um die Frage ging, wer die Befugnis zur Einsetzung neuer Bischöfe hatte. Sie war auch eine tiefglĂ€ubige Frau und KunstmĂ€zenin, die zwischen 1075 und 1099 ein prĂ€chtiges Evangelienbuch als Geschenk an die von ihrem Großvater gegrĂŒndete Abtei San Benedetto in Polirone in Auftrag gab. Der Text ist in Rot und Schwarz geschrieben und wird von 4 Incipitseiten und 7 Kanontafeln geschmĂŒckt, die mit satten PrimĂ€rfarben und Blattgold gestaltet sind. Die meisten der 6 ganzseitigen und 6 kleineren Miniaturen wurden nur mit roter Farbe, Blattgold und Schattierungen ausgefĂŒhrt, wĂ€hrend nur eine von ihnen vollstĂ€ndig in Farbe gestaltet wurde.

Evangeliar der Mathilde von Canossa

Dies ist ein einzigartiges Manuskript, das einer außergewöhnlichen Frau gewidmet ist: GrĂ€fin Matilda von Toskana (ca. 1046–1115), auch bekannt als la Gran Contessa oder "die Große GrĂ€fin" aufgrund ihrer Rolle als eine der wichtigsten Persönlichkeiten des italienischen Mittelalters und eine der mĂ€chtigsten Frauen des Mittelalters ĂŒberhaupt. Ihr VermĂ€chtnis ist umso beeindruckender, da sie als Frau in einer der turbulentesten Perioden der europĂ€ischen Geschichte tatsĂ€chlich regieren konnte. Ihr Hof war ein Zentrum der Kunst, Literatur und Kultur, denn Mathilde wurde von einer großen Zahl von Juristen und Gelehrten beraten. Nach ihrem Tod erlangte sie einen legendĂ€ren Status und wurde zum Gegenstand von Kunst, Musik, Literatur, Wundergeschichten und Legenden. Dieses VermĂ€chtnis erreichte seinen Höhepunkt wĂ€hrend der Gegenreformation, als sie fĂŒr ihre standhafte Verteidigung der Kirche zu Lebzeiten verehrt wurde.

Einzigartige Buchmalerei

Die kinderlose Mathilde war auf ihr persönliches VermĂ€chtnis bedacht und gab unter anderem ein prĂ€chtiges Evangeliar in Auftrag. Dieses prĂ€chtige Manuskript wird von sechs ganzseitigen und sechs kleineren Miniaturen, vier Incipitseiten und sieben kunstvollen Kanontafeln geschmĂŒckt. Der einzigartige Stil der Ausstattung erinnert mit seiner dekonstruierten Farbpalette fast an eine Art Proto-Grisaille-Technik. Zugleich sind das PortrĂ€t des Evangelisten MatthĂ€us sowie die Kanontafeln und eine der Incipitseiten mit einer reichen und raffinierten Palette von Pigmenten koloriert. Die Tatsache, dass die Handschrift lange vor dem Tod ihrer Auftraggeberin fertiggestellt wurde, spricht dafĂŒr, dass die reduzierte Farbpalette beabsichtigt war, was sie ihrerzeit außergewöhnlich machte.

Der Weg nach New York City

Das Manuskript blieb jahrhundertelang in Polirone, bevor es 1713 in den Sammlungen von Giovanni Battista Racanati auftauchte, der es nach seinem Tod 1735 Polirone vermachte. Im Jahr 1805 wurde sie von Abt Mauro Mari (gest. 1814) nach Santa Justina in Padua gebracht, um sie vor der PlĂŒnderung durch die napoleonischen Truppen zu retten. Sein Bruder, Don Giuseppe Mari, verkaufte es an Luigi Celotti aus Venedig. Anschließend erwarb Pastor Theodore Williams das Werk und ließ es neu binden, bevor er es am 10. April 1827 an Sir Thomas Phillipps verkaufte. Der letzte Besitzer, J. Pierpont Morgan (1837–1913), erwarb das Werk 1912 aus dem Besitz von Philipps.

Mathilde und die Abtei von Polirone

Das Kloster von San Benedetto in Polirone, sĂŒdöstlich von Mantua gelegen, ist eine von drei monastischen Strukturen, die von Mathildas Vorfahren gegrĂŒndet und von ihr zu Lebzeiten unterstĂŒtzt wurden. Sie unterstĂŒtzte auch zahlreiche Kirchen und HospitĂ€ler, um die Armen und Pilger zu versorgen. Nachdem sie Polirone zusĂ€tzliche LĂ€ndereien geschenkt hatte, um die wirtschaftliche Zukunft des Klosters zu sichern, und neben anderen Zuwendungen auch den Bau einer grĂ¶ĂŸeren Kirche finanzierte, ließ sie die meisten sterblichen Überreste ihrer Familie in prĂ€chtige SĂ€rge umbetten und nach ihrem Tod ein Mosaik in der Klosterkirche anfertigen, das sie darstellt. So wurde die Abtei zum offiziellen Kloster und zur BegrĂ€bnisstĂ€tte des Hauses Canossa.
Man nimmt an, dass das von ihr in Auftrag gegebene Evangeliar zwischen 1075 und 1099 in Polirone geschrieben und illuminiert wurde, doch kann dies nicht mit Sicherheit bestĂ€tigt werden. Es enthĂ€lt auch ein Liber vitae, das von Abt Wilhelmus oder seinem Nachfolger zu Ehren von Mathilde, Papst Urban II, Abt Hugo von Cluny und Mitgliedern der Gonzaga Familie in Auftrag gegeben wurde. Zu den weiteren Texten gehören ein Memorialbuch (das einzige seiner Art aus einem Cluniazenserkloster in Norditalien), in dem die wichtigsten Stifter und WohltĂ€ter der Abtei verzeichnet sind, sowie ein SchriftstĂŒck zum Gedenken an Mathilda.
In Anbetracht des Charakters seines frommen Patrons wurde Polirone auch zu einem Zentrum der im 11. und 12. Jahrhundert aufkommenden Reformbewegung. Im Jahr 1633 wurde Mathildes Leichnam auf Geheiß von Papst Urban VIII. exhumiert und nach Rom gebracht, wo sie zunĂ€chst in der Engelsburg und schließlich im Petersdom beigesetzt wurde, wo sie heute als eine von nur sechs Frauen bestattet ist.

Eine italienische Machtpolitikerin

Mathilde wurde als Mitglied des Hauses Canossa geboren. Über die UmstĂ€nde ihrer Geburt ist wenig bekannt, außer dass sie das jĂŒngste von drei Kindern war und daher nicht erwartet wurde, dass sie regieren wĂŒrde. Allerdings war sie fĂŒr ihre hohe Bildung bekannt: Sie sprach Latein, Französisch und Deutsch und soll auch in Strategie, Taktik, Reiten und Waffenhandhabung ausgebildet worden sein. Nach dem Tod ihres Vaters, ihrer Ă€lteren Schwester und ihres Bruders wurde sie 1055 zur MarkgrĂ€fin der Toskana ernannt, was der junge römisch-deutsche König Heinrich IV. (1050-1106), der spĂ€tere Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, im folgenden Jahr anerkannte.
Mathilde spielte spĂ€ter eine entscheidende Rolle im Investiturstreit. Als Cousine zweiten Grades des Königs und dank ihrer engen Beziehungen zum Heiligen Stuhl war sie die ideale Vermittlerin. Auf der Burg Canossa, der Stammburg ihrer Familie, stellte sich Henrich IV. am 25. Januar 1077 in einem Bußakt barfuß im Schnee vor Papst Gregor VII. (ca. 1015-1085). Vermutlich fĂŒhrte Mathilde die anschließenden Verhandlungen oder war zumindest eng daran beteiligt.

Die Mathildischen Schenkungen

Unter Missachtung der territorialen AnsprĂŒche des Königs schenkte Mathilde 1079 alle ihre LĂ€ndereien an Gregor VII. Allerdings wendete sich das Blatt gegen den Papst als die Streitigkeiten mit Heinrich IV. weitergingen und er am 15. Juni 1080 von seinen eigenen Bischöfen entthront wurde, woraufhin die vereinten KrĂ€fte von Mathilde und Gregor VII. am 15. Oktober von kaiserlichen Truppen besiegt wurden. WĂ€hrend ihr VerbĂŒndeter im SĂŒden ins Exil ging, blieb Mathilde in ihrer Festung im Apennin, von wo aus sie in den kommenden Jahren einen Guerillakrieg fĂŒhrte und ein Aufstand der sĂŒddeutschen FĂŒrsten seine RĂŒckkehr nach Italien verhinderte. In dem darauf folgenden Machtvakuum in Norditalien konnte Mathilde einen Großteil ihrer verlorenen LĂ€ndereien zurĂŒckgewinnen, die sie am 17. November 1102 in einer bescheidenen Zeremonie auf der Burg von Canossa** erneut dem Apostolischen Stuhl schenkte. Diese sogenannten Mathildischen GĂŒter waren bis weit ins 13. Jahrhundert hinein von PĂ€psten und Kaisern umkĂ€mpft. In ihren letzten Lebensjahren behielt Mathilde eine kleine Burg in der Poebene und einige andere symbolische BesitztĂŒmer und unterhielt weiterhin diplomatische Kontakte, wĂ€hrend der Investiturstreit weiterging.

Kodikologie

Alternativ-Titel
Gospels of Matilda, Countess of Tuscany
Gospel book of San Benedetto in Polirone
Umfang / Format
212 Seiten / 33,3 × 22,6 cm
Herkunft
Italien
Datum
Ca. 1075–1099
Stil
Sprache
Schrift
Minuskel
Buchschmuck
6 ganzseitige Miniaturen; 6 kleinere Miniaturen; 4 Incipit-Seiten; 7 Kanontafeln
Inhalt
Die vier Evangelien; Das Liber vitae des Klosters San Benedetto in Polirone (fol. 102-106), das eine auf den 8. April 1109 datierte Urkunde des Abtes Albericus (Abt 1099-1123) ĂŒber die Verpflichtung des Klosters San Benedetto in Polirone gegenĂŒber der GrĂ€
Auftraggeber
Mathilde von Canossa
Vorbesitzer
Giovanni Battista Racanati
Abbot Mauro Mari
Don Giuseppe Mari
Luigi Celotti von Venedig
Rev. Theodore Williams
Sir Thomas Phillipps

VerfĂŒgbare Faksimile-Editionen:
Evangeliar der Mathilde von Canossa – Roxburghe Club – MS M.492 – Morgan Library & Museum (New York, USA)
Roxburghe Club – Oxford, 1917
Faksimile-Editionen

#1 Gospels of Matilda, Countess of Tuscany

Roxburghe Club – Oxford, 1917

Details zur Faksimile-Edition:

Verlag: Roxburghe Club – Oxford, 1917
Kommentar: 1 Band von George F. Warner and J. Pierpont Morgan
Sprache: Englisch
Faksimile: 1 Band Reproduktion von 19 Seiten in Gold und Farbe und 12 in Graustufen. Der Einband entspricht möglicherweise nicht dem ursprĂŒnglichen oder aktuellen Dokumenteneinband.
Ausgabe bei uns verfĂŒgbar
Preis Kategorie: €
(unter 1.000€)
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